Mittwoch, 1. Januar 2014

Jahresrückblick

Frohes Neues liebe Schachfreunde,
das neue Jahr ist nicht mal 10 min. alt und ich nutze die Zeit um die Highlights des vergangenen Schachjahres zu rekapitulieren. In erster Linie sollte natürlich der neue Weltmeister Magnus Carlsen erwähnt werden, der Anand in reifer Manier bezwang. Leider konnte "Team Germany" bei keinem Event wirklich gut punkten. Erwähnenswert sind außerdem der grandiose Durchmarsch von Mickey Adams bei den Dortmunder Schachtagen, das Lifetime-Elohoch von Bacrot und Adams und das spannende Qualifikationsturnier der WM, in dem sowohl Carlsen als auch Kramnik in der letzten Runde verloren...in 2013 wurde große Schachgeschichte geschrieben. Betrachten wir die weniger schönen Vorfälle in 2013, wären in jedem Fall die Betrugsskandale um IM Kotainy und Borislav Ivanov zu nennen, bei welchem ich mich weigere seinen Namen mit "FM" zu schmücken. Außerdem hat die Schachwelt einige Verluste zu beklagen. Zunächst verstarb Jahrhundert-Schiedsrichter Lothar Schmid, dann verunglückte GM Kurnosov bei einem Verkehrsunfall, wenige Zeit später erlag die ebenfalls noch sehr junge WIM Vesna Rozic ihrer Krankheit. Im Herbst verstarb GM Milan Matulovic, der vielen als "J'adoubovic" ein Begriff sein dürfte. Für mich lief das Jahr sehr gut, zunächst mit einem Misserfolg in Basel ins Jahr gestartet, lief es beim Neckar-Open nicht besser. Doch dann ging es steil bergauf und ich verbesserte mein Rating von dort an um 108 Punkte. Das Highlight war der Sieg beim Nibelungen-Open in Worms vor einigen Titelträgern. Ich werde im Folgenden zwei meiner Lieblingspartien aus dem vergangenen Jahr präsentieren:
                                          Winterberg - Mantau (Godesburg Open 2013)
1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.Le2 0-0 6.Sf3 e5 7.0-0 Sc6 8.d5 Se7 9.Se1 Se8 10.Sd3 f5 11.Ld2 Tf7 12.Tc1 Sf6 13.f3 f4 14.c5 g5 15.cxd6 cxd6 16.Sb5 Sg6 17.Dc2 Se8 18.a4 Ld7 Ich möchte wie üblich nicht auf die Theorie eingehen, es sei nur gesagt, dass es all dies bereits schon gab. Ld7 war neu für mich, ändert aber an dem weißen Plan nicht viel. 19.Sf2 h5 20.Db3 Lf8 21.a5 Sh4 22.h3 Tg7 Es scheint als stünde Schwarz kurz dem entscheidenden Durchbruch, vor dem es jedem Weißspieler graut. Das weiße Spiel hingegen sieht etwas langsam aus, doch wie die Partie zeigen wird, ist der schwarze Angriff nur Theaterdonner, während der weiße Aufmarsch am Damenflügel langsam aber sicher aufgezogen wird. 23.Le1 Kh8 24.Dd1 dieser Zug richtet sich zum einen profylaktisch gegen g4 und zum anderen kann nun der b-Bauer mit Schwung nach vorne preschen. 24...Sg6 mit Remisgebot. Ich hatte Gründe genug weiterzuspielen. Zum einen war ich der Elofavorit, zum anderen befand sich mein Gegner bereits in Zeitnot und fühlte sich offenbar nicht so recht wohl und außerdem zog er soeben den Springer von seiner Angriffsposition zurück, wo er ihn erst drei Züge zuvor postiert hat. Der weiße Angriff am Damenflügel hat jedoch Perspektive. Dennoch überlegte ich eine Weile, denn Weiß braucht einen Plan, und den muss man erst mal finden. 25.b4 Lc8 nicht schön, aber überdeckt c7. 26.Tc3!

Ein typischer Zug. Im Königsinder steht der Turm auf der dritte Reihe oft sehr gut, weil er zum einen vertikal am Damenflügel Druck ausübt und zum anderen auf der Horizontalen eine Verteidigungsfunktion einnimmt. Weiß will nun auf der c-Linie verdoppeln, während vom schwarzen Mattangriff weit und breit nichts zu sehen ist. 26...Sf6 27.Dc2 Se7 28.Sc7 diejenigen, die diese Eröffnung mit Schwarz spielen, wissen was es bedeutet, wenn Weiß auf c7 einreitet. Häufig opfert der Nachziehende den Turm a8 aus konkreten, taktischen Gründen, da er hier aber kein Gegenspiel hat, muss der Turm kleinmütig weichen, wonach der überaus lästige Springer Weiß bereits klaren Vorteil gibt. 28...Tb8 29.b5 Ld7 30.b6 axb6 31.axb6 Sc8 Es ist offensichtlich, dass bei Schwarz etwas gründlich schief gelaufen ist.Trotzdem muss Weiß einen Plan finden die Stellung weiter zu verstärken. Ein möglicher Plan sieht vor den Tf1 nach c1 zu bringen und den Ld7 mittels Lb5 abzutauschen, was für Weiß ein sehr gutes Geschäft wäre. Die weißfeldrigen Schwächen im schwarzen Lager, insbesondere das Feld e6, wären fatal. Weiß würde anschließend z.B. Se6 ziehen und mit dem Turm auf c7 eindringen, die weiße Stellung ist strategisch gewonnen. 32.Db2 Le7 33.Ld2 Dg8 34.Tfc1Was nun folgt ist Selbstmord 34...g4?? Niemand verteidigt sich gerne passiv, Königsindisch-Spieler schon gar nicht, aber g4 drückt feste auf den Selbstzerstörungsknopf. Umsichtiger wäre 34...Ld8 gewesen. Danach hat Weiß einen interessanten Plan, der mit 35.Ta3 beginnt. Die Idee ist es La5 folgen zu lassen um b6 zu decken, und anschließend mittels Lb5 die Läufer zu tauschen. Das sofortige 35.Lb5? wäre wegen 35...Sxb6 ein Fehler. Nach 34...g4?? hat Weiß jedoch schon leichtes Spiel. 35.fxg4 hxg4 36.Lxg4 Lxg4 37.hxg4 Sxg4 38.Sxg4 Die allwissende Engine versteht die taktischen Feinheiten besser als ich und schlägt das Qualitätsopfer 38.Se6! vor. Nach 38...Sxf2 39.Sxg7 Sxe4 40.Se6! Sxc3 41.Txc3 ist der schwarze König leichte Beute. Der Textzug 38.Sxg4 verdirbt jedoch nichts. 38...Txg4 39.Th3+ nun meldet sich der Turm auf der dritten Reihe am Königsflügel zu Wort. Kg7 40.Lxf4! In der Vorausberechnung brauchte ich eine ganze Weile, um zu realisieren, dass Lxf4 nicht wegen Txf4 Se6+ etc. gewinnt, sondern weil nach Txf4 ganz plump Tg3+ die Dame gewinnt. 40...Kf7 Die Zeitkontrolle hat der Nachziehende geschafft, das spielt in Anbetracht der hoffnungslosen Stellung jedoch keine Rolle mehr. 41.Le3 Lg5 42.Lxg5 Txg5 43.Df2+ Ke7 44.Se6 Tg4 45.Th7! noch ein kleiner Witz zum Abschluss




45...Ke8 46.Sc7+ Kd8 47.Df6+ für 47...Se7 reichte der Humor des Schwarzen nicht mehr, er gab an dieser Stelle auf. Diese Partie gefällt mir ausgesprochen gut, weil sie ein Musterbeispiel für die Königsindische Verteidigung ist. Weiß hatte sich zahlreiche thematische Pläne gefasst und diese allesamt reibungslos realisiert. Bei Schwarz ist das Ergebnis debakulös, er hatte keinen Angriff, wurde am Damenflügel langsam überspielt und zu guter Letzt an "seinem" Flügel komplett weggefegt. Strategie und Taktik griffen wie ein Schweizer Uhrwerk perfekt ineinander, eine Partie die sehr viel Spaß gemacht hat! :)

Bei der Auswahl der zweiten Partie war ich mir etwas unschlüssig.
Ich wollte auf jeden Fall eine Schwarzpartie nehmen und hatte zunächst die Partie gegen den amtierenden Deutschen Meister U25A im Auge, entschied mich dann aber für eine Partie vom Böblinger Open, in der sich Weiß grundsolide mit dem Londoner System aufbaute und ohne nennenswerte Gegenwehr langsam überspielt wurde.

                                           Bräuner - Winterberg (Böblinger Open 2013)
1.d4 Sf6 2.Sf3 g6 3.Lf4 g6 4.e3 0-0 5.Le2 d6 6.h3 Sbd7 7.0-0 c5 8.c3 b6 9.Te1 Lb7 10.Sbd2 a6 11.a4 soweit alles noch Theorie und nicht untypisch. Da mein Gegner aber gelegentlich diesen Aufbau wählt, ging ich nicht unvorbereitet in die Partie und wartete mit einem interessanten Plan des indischen GM Ganguly auf, den ich nur leicht abänderte. 11...Ta7!? Die Idee ist bekannt, zu diesem Zeitpunkt jedoch untypisch. 12.Lf1 Da8



13.Lh2 Tfb8 14.c4 Se4 15.d5 Sxd2 16.Dxd2 b5 Man braucht nicht lange, um zu erkennen, dass dies die einzige Chance ist. Die taktische Rechtfertigung besteht in 17.axb5 axb5 18.Txa7 Dxa7 19.cxb5 Da2 20.e4 Ta8! wonach Schwarz gutes Spiel hat. In der Partie folgte jedoch das gekünstelte 17.Ta2?! was den Grundstein für die weißen Sorgen legt. 17...bxc4 18.e4 a5 19.Lxc4 La6 20.Lxa6 Txa6 21.e5 Weiß muss versuchen ein Gegenspiel zu organisieren, allerdings schlägt es nicht durch und verpufft sehr schnell. 21...Tab6 22.Te2 Da6 23.Te4 Db7 24.Te2 Da6 25.Te4 Tb4 Zugwiederholungen sind ein bewährtes Mittel um näher an die Zeitkontrolle zu kommen. Weiß wäre mit Remis natürlich mehr als einverstanden. 26.De2?! Das Endspiel verspricht Weiß keine Freude, mit Damen auf dem Brett hätte Weiß bessere Chancen auf etwaige Schwindelversuche. 26...Dxe2 27.Txe2 Lf8!



Dieser scheinbar passive Zug bringt Weiß in ernste Schwierigkeiten. Der Punkt d6 ist nun zuverlässig gedeckt, was Weiß komplett des Gegenspiels beraubt. Nun droht bereits Sb6. Der Schwächen (a4,b2,d5) hat Weiß gar zu viele, als dass ein Mensch diese Stellung verteidigen könnte. Gemäß des "Prinzips der zwei Schwächen" benötigt man 2 Schwächen zum Sieg, in der Diagrammstellung sind es bereits 3. Erschwerend hinzu kommen die deplatzierten weißen Figuren. Vorallem der Ta2 und der Lh2 geben ein trauriges Bild ab. 28.exd6 exd6 29.Sg5 Td4 Planänderung! Anstelle des Bauern a4 greift Schwarz lieber d5 ab. Die zwei verbundenen Freibauern sind eine Siegesgarantie. 30.Ta1 Txd5 31.Se4 Te8 nicht notwendig, aber auch nicht schlecht. 32.Tae1 Td4 33.Sc3 Txe2 34.Txe2 Sb6
 erinnert Weiß an seinen a4-Bauern. 35.g4 Sxa4 36.Sb5 Td3 37.Lf4 f6 38.Td2 Txd2 39.Lxd2 Sxb2 40.Lxa5 Der Rest ist einfach und bedarf keines Kommentares Kf7 41.Kf1 d5 42.Ke2 d4 43.Lc7 Ke6 44.Kd2 Kd5 45.Ld8 Kc4 46.Sc7 Lh6+ 0-1

Allen Lesern wünsche ich einen guten Start ins Jahr 2014!