Freitag, 2. Januar 2015

Ein denkwürdiger Jahresabschluss

Werte Schachfreundinnen und Schachfreunde,
das neue Jahr ist noch jung und ich möchte die Gelegenheit nutzen, einen Rückblick auf das vergangene Jahr zu werfen.
Was passierte so alles in der Schachwelt? Zunächst einmal verteidigte Carlsen in einem spannenden WM-Match seinen Titel gegen den Tiger aus Madras, Vishy Anand, der seinen Biss wiedererlangt hat. Außerdem profitierte die deutsche Herrenmannschaft vom Verbandswechsel Nisipeanus, der seit 2014 für den DSB spielt. Auch regeltechnisch brachte 2014 einige Neuerungen. Der kontroverse Handy-Paragraph dürfte jedem ein Begriff sein, inzwischen wurde die Regel wieder gelockert. Neu hinzu kam eine Regelung bzgl. der 50-Züge-Regel. Ab sofort kann eine Partie weitergespielt werden, sollte keine der Parteien reklamieren. Bei dem 75. Zug ohne Schlagfolge, ist der Schiedsrichter jedoch verpflichtet die Partie auch ohne Reklamation seitens der Spieler Remis zu geben.
Auch ratingtechnisch gibt es eine Neuerung. Die bisherige Verteilung der k-faktoren bei der Elorechnung (k-faktor 5 bei >2400 Elo, k-faktor 15 bei <2400 Elo und k-faktor 25 bei <30 Wetrungspartien) wurde dahingehend verändert, als dass der k-faktor 15 auf 20 angehoben wurde und es zudem einen "Jugendbonus" gibt, der bei U18-Spielern den k-faktor auf 40 ansetzt. Meiner Meinung nach ist das schlichtweg Nonsens und begünstigt die Ratinginflation, was anhand des Beispiels von Parziv Gasimov zu sehen ist. Es kann nicht sein, dass ein Spieler durch mittelmäßiges Spiel 550 Punkte in ein paar Monaten zulegt, weil er die Punkte förmlich hinterher geschmissen bekommt.

Für meinen Heimatverein brachte das Jahr 2014 den Aufstieg in die Oberliga SW, in der wir uns bis dato gut verkaufen.

Im Turnierschach lief es bei mir abgesehen von der Neuwieder- und der Koblenzer Stadtmeisterschaft, die ich beide gewann, sehr dürftig. Ich brachte es gar zuwege 44 Elopunkte und 75 DWZ-Punkte einzubüßen. Daher war ich bestrebt, das Jahr mit einem positiven Ergebnis ausklingen zu lassen und noch ein, zwei Titelträger- Skalps zu erbeuten und meldete mich in diesem Sinne beim Böblinger Open an. An Platz 34 gesetzt, rechnete ich mir keine Chancen auf einen Preisrang aus und hatte auch keine Ambitionen, außer das Rating anzuheben. Mit einem Plus von 15-20 Punkten wäre ich sehr zufrieden gewesen, doch es sollte ganz anders kommen...

Das Turnier wurde von Youngsters beherrscht. Es gab zahlreiche talentierte Jugendspieler und einige juvenile Titelträger. Auch im Endklassement spiegelte sich die Dominanz der Jugend wider. Es gewann ein 21-jähriger IM, vor einem 16-jährigen IM, der seine 4.GM-Norm erspielte.

 In den ersten beiden Runden bezwang ich meine jungen Gegner sehr souverän und hatte das Gefühl gut in Form zu sein. Mit einem soliden Schwarzremis gegen IM Fedorovsky (2421/2444) bestätigte sich diese Einschätzung. Dann kam Runde 4, in der ich zum ersten großen Schlag ausholte. Mit einer sehr guten Eröffunungsvorbereitung, einer tiefen Analyse von GM Huschenbeth, schaffte ich es in gerade mal 21 Zügen, einen sehr erfahrenen Französisch-Spieler im Angriff zu besiegen und dabei nicht mal 30 Minuten zu verbrauchen. Chapeau, Niclas! ;)


Das ist die Schlüsselstellung der Partie. Mein Gegner entschied sich nach langem Nachdenken, den c-Bauern nicht kampflos abzutreten und spielte 16...b5??, was die Partie auf der Stelle verliert. Es sollte aber nicht unerwähnt bleiben, dass Weiß auch nach anderen Zügen eine sehr angenehme Stellung mit guten Angriffschancen  behält.  17.Lxh7+ Kxh7 18.Sg5+ Kg8 19.Th4 droht Th8 mit Matt. 19...Lxg5 forciert 20.Dxg5 und nun spielte mein Gegner statt 20...f5, was zwar auch verliert, aber zumindest nicht Matt geht, den Zug 20...Sd5. An dieser Stelle endete meine Vorbereitung, doch brauchte ich nur 5 min., um den sofortigen Knockout zu diagnostizieren. 21.Lf6! 1-0


Da Schwarz der Möglichkeit beraubt wurde, seinen Monarchen mittels f5 über f7 zu evakuieren, wird in Kürze matt auf der h-Linie erfolgen. Schwarz gab auf.

Auch wenn diese Partie mangels Eigenleistung keinen Anlass zu übermäßiger Freude bietet, machte es doch unheimlich Spaß einen derartig überzeugenden Vorbereitungssieg zu genießen.

Dann kam Runde 5, meine einzige Verlustpartie. Gegen den starken 17-jährigen IM Lampert, wurde ich in der Eröffnung überrascht. Zwar konnte ich mich unter erheblicher Zeitinvestition an die Theorie erinnern, doch zeigte ich in dem scharfen Endspiel, in dem ich einen Läufer für 3 Bauern besaß, wenig Verständnis, und ließ mich gekonnt überspielen. Ein starker Vortrag meines junges Gegners!

In Runde 6 spielte ich dann die schlechteste Partie. Gegen einen anderen jungen Gegner (DWZ 2119) glänzte ich mit theoretischer Unkenntnis und wäre um ein Haar nicht heil davongekommen. Zum Glück ging es noch mal gut und ich versuchte selbst auf Gewinn zu spielen. Zwar erlaubte mir mein Gegner meine Stellung peu à peu zu verbessern, doch konnte ich seinem Ausgleichsplan nichts entgegensetzen. Am Ende stand das Remis.

Runde 7 war die interessanteste in diesem Turnier und ich möchte sie im Ganzen vorstellen:

Winterberg - IM Smirnov, A. (2446)
1.e4 c5 2.Sf3 Sc6 das kam bereits überraschend. Mein Gegner ist ein Verfechter von dem eigenwilligen System 2...d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 Ld7!? von dem ich absolut keine Ahnung habe. Nach 2...Sc6 kam mir die Idee ihn geschickt in ein System reinzutricksen, von dem ich annahm, dass er sich nicht auskennt...ein Trugschluss! 3.c3 Sf6 4.e5 Sd5 5.Lc4!? dies analysierte ich vor ca. einem Jahr und konnte mich im Großen und Ganzen noch an die Analysen Tiviakovs erinnern. Da mein Gegner normalerweise mit d6 statt mit Sc6 spielt, dachte ich, ich könne ihn mit diesem Zug aus seinen Varianten holen. 5...Sb6 6.Lb3 c4 7.Lc2 d6 8.exd6 Lg4!? dieser Zug traf mich wie ein Blitz, er begegnete mir noch nie zuvor. Ich investierte ca. 20 Minuten und konnte keinen Vorteil nach 9.d4 oder 9.b3 finden. Also entschied ich mich dazu prinzipiell zu spielen. 9.h3 Lh5 10.dxe7!? (objektiv trifft es ?! wohl eher) 10...Dxe7+ 11.De2 Lxf3 12.gxf3 0-0-0 13.Dxe7 Lxe7 14.b3 selbstverständlich muss Weiß den gordischen Knoten schnellstmöglich zerschlagen und dann d4 folgen lassen. Die Stellung ist hochinteressant.



14...The8 15.Kf1 dies macht mehr Sinn als die kurze Rochade, da der wK das Einbruchsfeld e2 überdeckt. Des Weiteren ist der König auf g1 anfällig für Turmschachs und f3 hängt in manchen Varianten mit Schach. 15...Se5 Schwarz entfaltet eine enorme Aktivität, die selbstverständlich den geopferten Bauern aufwiegen sollte, doch Weiß droht immer noch mit bxc4 nebst d4. So habe ich es auch kommen sehen, mein Plan sah vor, im Endspiel auf das Läuferpaar zu pochen. Ich sah nicht, was Schwarz gegen den einfachen Plan bxc4 nebst d4 erfinden könnte. 16. bxc4 Sd3! sehr interessant gespielt. Der Springer plombiert das Feld d3 und hindert mich an der Entwicklung des gesamten Damenflügels. Natürlich kann ich den Rappen dort nicht dulden. 17.Lxd3 Txd3 18.Ke2 Ted8 19.Tg1! das war die Idee! Weiß attackiert mit Tempo den schwarzen Bauern auf g7 und droht außerdem Tg3 gefolgt von f4. Sollte Schwarz beispielsweise 19...g6 ziehen, so behielte Weiß nach 20.Tg3 Sxc4 21.f4 einen Mehrbauern. Weicht der Turm von d3 zurück, kommt Weiß erneut zu d4 und im Falle von Txg3 saniert Weiß seine Bauernstruktur und behält einen gesunden Mehrbauern. An dieser Stelle dachte ich, dass Weiß Vorteil hat.  19...g5! sehr stark gespielt!


Weiß hat nun keine große Auswahl, die nächste Partiephase verläuft forciert.
20.Tg3 Sxc4 21.f4 Txg3 22.fxg3 gxf4 und hier dämmerte es mir. Nach Tg8 werde ich große Probleme haben, meine Figuren sind einfach zu passiv, während ich meine einzige gute Figur soeben abgetauscht habe. 23.gxf4 es ist bedeutend festzustellen, dass 23.d3 an 23...f3+ -+ scheitert.
23...Tg8 24.Kd3 erzwungen, da 24.d3 Tg2+ 25.Kd1 Sb6 ob der weißen Unterentwicklung kaum in Frage kommt.  24...Tg1 25.Kc2 Th1 26.d3 Th2+ 27.Sd2 Se3+ 28.Kb3 Sd5 29.Se4 Txh3 der weiße Mehrbauer ist Geschichte, die Probleme jedoch bestehen fort. Weiß steht ein harter Kampf um Remis bevor.  30.Ld2! nur diesem Zug ist es zu verdanken, dass ich die Partie nicht verloren habe. Weiß investiert einen Bauern, um in ein remisliches Endspiel abzuwickeln. Andere Züge sind erheblich schwächer, der Bauer d3 ist ohnehin nicht zu retten.  30...f5 natürlich verbietet sich 30...Txd3 wegen 31.Kc4+/-  31.Sg5 Th2  ich brauchte einige Zeit um in der Vorausberechnung zu realisieren, dass ich auf 31...Txd3 32.Kc2 spielen kann, wenn nach 32...Tg3 33.Th1 Weiß außer Verlustgefahr ist.
32.Td1 Ld6 33.Se6 Kd7 34.Sd4 Lxf4 35.Lxf4 Sxf4 36.Sxf5 h5 37.Tf1 Se2 38.Kc4 h4 39.Sd4 Sxd4 40.Kxd4 h3 41.Tf7+ und hier ging ich davon aus, dass er friedlich hin-und herpendelt. Doch mein Gegner spielt es weiter auf Gewinn und hätte es fast geschafft... 41...Ke6!?


42. Txb7?! ich überschätzte die Kraft meiner verbundenen Freibauern. Vernünftiger wäre es gewesen, mit 42.Tf3! den Remishafen anzusteuern. Nach 42...Th1 43.c4 h2 44.Tf2 b6 45.a4 a5 46.Tb2 Kf5 47.Kd5 Kg4 48.d4 hält sich Weiß mühelos. In der Partie wandelt Weiß am Abgrund.

42...Txa2 43.Th7 h2 44.c4 Kf5 und bei knapp werdender Bedenkzeit produzierte ich 45.Kc5?? was sofort verliert. Remis könnte Weiß mit 45.c5 halten. Das Endspiel ist kompliziert, und ich rege den Leser dazu an, etwas auf eigene Faust zu analysieren. Als Anregung gebe ich zu bedenken, dass der schwarze a-Bauer durchaus eine Gefahr ist und Schwarz immer mit Manövern wie Tf2-Tf4-Th4 droht. 45...Kg4? geht an der großen Chance vorbei. Das kontraintuitive 45...Kg6 46.Th3 Ta5+ 47.Kb4 Th5 gewann auf der Stelle. In dieser Variante übersah ich den zuvor erwähnten Turmschwenk, da Kg6 sehr paradox erscheint. 46.Kb5 Kg3 47.c5? erneut ein Fehler, nur 47.Tg7+ versprach Remischancen.47...a5?? und das vergeigt es endgültig. In der Sekunde, als ich den Bauern auf c5 losließ, fiel mir ein, dass ich vergaß das Schach auf g7 zu geben. Schwarz konnte einfach mit 47...Ta1 gewinnen, wenn Weiß nach 48.d4 h1=D 49.Txh1 Txh1 50.d5 Kf4 51.Ka6 Th7 52.d6 Ke5 ein Tempo zu langsam ist. 48.Tg7+ Kf3 49.Th7 Kg2 50.Tg7+ Kf2 51.Th7 Kg1 52.Tg7+ Kf2 53.Th7 Kg1 54.Tg7+ Kf2 ½–½

Eine packende Partie auf hohem Niveau, leider haben die beiderseitigen Patzer in Zeitnot die gut gespielte Partie in gewisser Weise verdorben. Trotzdem hat es Spaß gemacht, vor allem weil der Gegner sehr kreativ war.

In Runde 8 gewann ich in nur 25 Zügen gegen einen IM mit Schwarz im Halbslawen. Da dies aber vielmehr auf sein katastrophales Spiel, als auf meinen Verdienst zurückzuführen ist, verdient diese Partie keine Beachtung.

Mein Meisterstück lieferte ich dann in Runde 9 ab. Es war der 6. IM in der 9. Partie. Ich spielte zuvor schon einmal gegen ihn. Auch in der letzten Runde, auch mit Weiß, auch im Alapin. Um den Turniersieg und 800 Euro zu sichern, spielte ich damals sicher, wollte wenig riskieren, und sicherte mir mit einem Remis den 1. Platz. Dieses Mal war ich allerdings in kämpferischer Stimmung und gewann in großem Stil:

Winterberg - IM Gschnitzer, O. (2407)
1. e4 c5 2. c3 Sf6 3. e5 Sd5 4. d4 cxd4 5. Sf3 e6 6. cxd4 d6 7. Lc4 Sc6 8. O-O
Le7 9. De2 O-O 10. Sc3 Sxc3 11. bxc3 dxe5 12. dxe5 b6 13. De4 Lb7 14. Ld3 g6
15. Lh6 Te8 16. Tad1 Dc7 17. Df4 soweit die Theorie,die weiße Spielweise ist im Prinzip sehr riskant, da jedes Endspiel hoffnungslos verloren ist. Weiß sucht seine Chancen im direkten Königsangriff. Schwarz hat zwar gute Chancen, allerdings ist es eine schwierig zu spielende Stellung und der weiße Angriff ist gefährlich. Das ist nicht nach jedermanns Gusto, was erklärt, warum Schwarz in der Regel zu 12...Da5 statt 12...b6 greift. 17...f6?? Das ist nicht nur positionell ein schrecklicher Zug, er lockert zudem auch noch, die ohnehin bereits geschwächte schwarze Königsstellung noch weiter. 18. Dc4! nach längerer Überlegung gespielt und sehr stark. Schwarz hat große Probleme. 18...Dc8? und das verliert bereits forciert. Den Rest der Partie spielte ich sehr streng. 19. exf6 Lxf6 20. Df4! Lg7 21.Sg5




21...Te7 erzwungen, da nach 21...Tf8 22. Dh4 Lxh6 23.Dxh6 Dc7 an 24.Sxe6 scheitert.  22. Lxg7 Kxg7 23. Tfe1 droht mit 24.Txe6 die sofortige Entscheidung herbeizuführen. e5 24. Dh4 Dh8 am zähesten, da 24...h6 an 25.Lxg6 scheitern würde. 25. Lc4 h6 26. Se6+ Kh7 27. Te3 es droht Dxh6+ Kxh6 Th3#









27...h5 28. Tg3 mit der Drohung 29.Dxh5+ gxh5 30.Ld3+ Kh6 31.Tg6+ Kh7 32.Sg5#   28...De8 29. Df6 Kh6 30. Sf8 totale Zerstörung! 1-0
Als ich im Begriff war das Brett zu verlassen, fing mich der Schiedsrichter ab, um mich darüber in Kenntnis zu setzen, eine IM-Norm erzielt zu haben. Das hatte ich eigentlich bereits abgehakt, umso überraschter und erfreuter war ich, dass es geklappt hat. Mit 3 IM- Skalps und für meine Verhältnisse sehr gutem Schach, einer Norm, dem 9. Platz und einem DWZ-und Eloplus von fast 50 Punkten, bin ich mehr als zufrieden. Ein denkwürdiger Abschluss des Jahres 2014, das, in Anbetracht dieses Turnieres doch gut lief.

Allen Lesern ein gutes und erfolgreiches Jahr 2015!