Sonntag, 31. August 2014

SVDB Schachfestival 2014

Hallo Schachfreunde,
während Caruana die Weltspitze derzeit kräftig aufwirbelt, versuchte ich mich an meinem 1. IM- Normenturnier in Eupen. Es handelt sich dabei um ein Rundenturnier mit 10 Teilnehmern unter der Leitung des International Arbiter (IA) Sylvin de Vet. Das Turnier an sich war eine tolle Erfahrung und es hat Spaß gemacht, durchgängig gegen Gegner zu spielen, die mindestens so stark sind wie ich selbst. Mit der Norm hat es zwar nicht ganz geklappt, und auch das Endergebnis von -2 sieht ziemlich schlecht aus, doch spiegelt das den Turnierverlauf, sowie die guten Stellungen, die ich hatte, nicht wirklich wider. Die Rahmenbedingungen waren leider nicht ideal. Die Unterkunft bestand in einem der ältesten Häuser Eupens, mit sehr steilen und schmalen Treppen und keinem TV-Gerät auf dem Zimmer. Bei nur einer Partie am Tag und demnach ca. 17 Std., in denen man auf dem Zimmer verweilt, ist das sehr unvorteilhaft. Auch der Weg zur Turnierhalle (1km. steil bergauf) war beschwerlich und so schleppte ich mich oft mit letzter Kraft 25min. vor Spielbeginn in die Turnierhalle. Bei Rundenbeginn war ich dann jedoch wieder voll auf der Höhe, sodass der Gewaltmarsch keinen Einfluss auf das Spielgeschehen nahm. Die Räumlichkeiten des SK Rochade Eupen-Kelmis sind sehr schön. An den Wänden hängen zahllose Trophäen, Urkunden und Schenkungen von Partnervereinen. Der Spielsaal war geräumig, die Atmosphäre gut und alles in allem wirkte das Turnier sehr familiär. Dennoch wurde sich an den Brettern nichts geschenkt und es wurde hart gekämpft. Am Ende gelang 3 Teilnehmern eine IM-Norm: M. Coenen (2294), FM A. Kalka (2373) und FM P. Hopman (2387). Gratulation dazu! Ich hatte das drittniedrigste Startrating und mein Primärziel war es, 50% oder mehr der Punkte zu holen. Am Ende waren es nur 3,5 jedoch hätten es auch locker 5,5 sein können. Einen unnötigen Verlust gab es bereits in Runde 1 zu beklagen. Nachdem mein Gegner mich bereits mit 3.Lc4 aus der Vorbereitung warf, setzte er im Folgenden mit 6.Lg5 7.Lxf6 fort, was auf mich einen ungesunden Eindruck macht. Nur Schwarz kann auf Vorteil spielen. Trotzdem investierte ich eine Menge Bedenkzeit, die mir später bei taktischen Verwicklungen fehlte.

Coenen,M. (2294) - Winterberg:
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.0–0 Sf6 5.d3 a6 6.Lg5 h6 7.Lxf6 Dxf6 8.Sc3 d6 9.Sd5 Dd8 10.c3 La7 11.b4 0–0 12.a4 Se7 13.Se3 c6 14.Lb3 Sg6 15.d4 Df6 16.Te1 Sf4 17.g3 exd4 18.cxd4 Sh3+ 19.Kg2 Te8 20.e5 dxe5 21.dxe5 De7 22.Dc2 Dxb4 23.e6 Txe6 24.Lxe6 Lxe6 25.Tab1 De7 26.Db2 Tb8 27.Sd4 Sg5 28.Sdf5 Df8 29.De5 g6 30.h4 Sh7 31.Sd4 Te8 32.Sxe6 Txe6 33.Dc3 b5 34.Sg4 Td6 35.De5 Td2 36.Df4 Dd6 37.Te8+ Sf8 38.Sxh6+ Kg7 39.Dxf7+ Kxh6 40.Dxa7 Df6 41.De3+ 1–0


In Runde 2 hatte ich wieder Schwarz. Dieses Mal lief es allerdings besser:
                                                   IM Vandevoort (2390) - Winterberg
1.Sf3 Sf6 2.g3 Obwohl erst 2 Züge gespielt sind, war meine intensive Vorbereitung schon hier für die Katz... 2...e6 3.Lg2 d5 4.00 Le7 5.d4 b6 6.c4 c6 inspiriert von GM Kovalyov, dem ich in dieser Variante mit Weiß in etlichen Partien nicht ein einziges Remis abtrotzen konnte. Dies war das 5. Mal, dass ich dieses System anwandte. Gegen starke Gegnerschaft (2 FMs, 2GMs) standen bis zu dieser Partie 3 Remise und 1 Verlust. 7.Sc3 0-0 8.Se5 Lb7 9.e4 dxc4 ich folge meiner eigenen Partie, die ich im Oktober 2013 gegen FM Schild spielte. Nach der Eröffnung stand ich sehr passabel, dass ich dann allerdings fehlgriff und für den Rest der Partie leiden musste, bevor wir am Ende versöhnlich den Remishafen anschipperten, ist auf mein schlechtes Spiel zurückzuführen. 10.a4 Sbd7 11.Sxc4 La6 12.b3 Lxc4 13.bxc4 e5! ansonsten wäre das schwarze Konzept völig verfehlt. 14.d5 cxd5 15.exd5!?N mein Gegner spielte es ad hoc und ehrlich gesagt, zog ich exd5 nie ernsthaft in Betracht. c4 ist für den Rest der Partie schwach. Leider ist die Sache nicht so klar. Der weiße Ansatz mit exd5 ist sehr konkret und fußt auf der Idee d6 nebst Sb5 zu spielen.


Schwarz hat hier eigentlich nur 3 Kandidatenzüge: a) 15...Ld6 b) 15...Lc5 und c)15...Lb4
Schnell verwerfen lässt sich das passive Ld6, da Weiß nach 16.Sb5 quasi schon eine Gewinnstellung hat. Was der Läufer auf b4 zu suchen hat, war mir indes nicht klar. So entschied ich mich für den Partiezug 15...Lc5. Es folgte: 16.d6 und nun muss Schwarz bereit sein, die Qualität zu geben. 16...Ld4! 17.Ta3? wieder sehr schnell gespielt. Viel besser wäre es gewesen, sich auf a8 zu bedienen. Nach 17.Lxa8 Dxa8 18.Lb2 Dc6 19.De2 a6 schätzte ich die Lage als unklar ein. Für die Qualität wird Schwarz den Bauern d6 gewinnen, während c4 weiterhin schwach ist. Meister Houdini sieht Weiß aber klar am Ruder. Wenn das das beste ist, was Schwarz nach 15.exd5!?N aus der Stellung rausholen kann, steht die ganze Idee mit La6 nebst Lxc4 unter keinem guten Stern. Der Partiezug 17. Ta3? vergibt den Vorteil 17...Tc8 18.Sb5 Txc4 und nun fing mein Gegner endlich an zu denken, reichlich spät, wenn man bedenkt, dass Weiß bereits um Ausgleich kämpft. 19.De2 Dc8 20.Sxa7? besser war 20.Sc7, wonach der schwarze Vorteil im Rahmen bleibt.  20...Dc5 21.Lg5?? krönt das schlechte Spiel mit einem plumpen Einsteller. 21...Tc2 22.Dd3 e4 23.Lxe4 Sxe4 24.Dxe4 Lxf2+ 25.Kh1 Dxa3 0-1
Ein gelungenes Schlussbild!




In Runde 3 vergaß ich im 18. Zug die theoretische Empfehlung und hätte vielleicht besser daran getan, Remis durch Zugwiederholung zu forcieren. Ich wollte gewinnen, doch das ging nach hinten los. Eine gute Darbietung von IM Braun, der am Ende mit 6,5/9 ganz oben in der Tabelle zu finden war!
                                       
Winterberg - IM Braun (2360)
1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.e5 Sfd7 5.f4 c5 6.Sf3 Sc6 7.Le3 cxd4 8.Sxd4 Db6 9.Dd2 Dxb2 10.Tb1 Da3 11.Lb5 Sxd4 12.Lxd4 a6 13.Lxd7+ Lxd7 14.Tb3 De7 15.Txb7 Dd8 16.Lb6 Dc8 17.Tc7 Dd8 18.Df2 Tc8 19.Txc8 Dxc8 20.Dd4 Dc6 21.f5 La3 22.Sb1 Le7 23.f6 gxf6 24.exf6 Ld6 25.0–0 e5 26.Db2 Db5 27.Dxb5 Lxb5 28.Td1 Lc6 29.Sc3 d4 30.Se2 Kd7 31.c3 La4 32.Td2 Kc6 33.La5 Kb5 34.cxd4 Kxa5 35.dxe5 Lc5+ 36.Kf1 Te8 37.Td5 Kb6 38.Sc3 Lc6 0-1



Runde 4 brachte die dritte Schwarzpartie, auch der Tag war ziemlich schwarz. In 8 Partien kam ich gut aus der Eröffnung raus, in Runde 4 war das Eröffnungsergebnis desaströs und ich verlor mehr als verdient gegen FM Marcziter (2235), der am Ende 4/9 erreichte und ein gutes Turnier spielte. Die Schlusskombination ist sehenswert:
                                   FM Marcziter (2235) - Winterberg
Stellung nach 25...Sf8

Weiß gewann mit 26.Txf6! Kxf6 27.Ld4+! Ke7 28.Te1+ Kd7 29.d6 Db8 30.Te7+ Kxd6 31.Txb7 Dxb7 32.Le5+ 1-0

Der Start mit 1/4 war alles andere als zufriedenstellend und um ein Debakel zu verhindern, mussten dringend Punkte her. In Runde 5 kam selbstverständlich wieder nicht meine Vorbereitung aufs Brett, was lediglich in Runde 8 der Fall war, dennoch lief es sehr gut. Mein Gegner FM Meessen (2278), der Kapitän der belgischen Herrenmannschaft in Tromsö,  wollte mich mit einer Eröffnung überraschen, die er noch nie zuvor spielte, und erleidete schnell Schiffsbruch.

                                            Winterberg - FM Meessen (2278)
1.e4 d5 2.exd5 Dxd5 3.Sc3 Dd8 meine praktischen Erfahrungen mit dieser Antiquität basieren lediglich auf einer Partie, welcher im Übrigen ein eigener Thread gewidmet wurde (Threadtitel: "Entscheidung im 5. Zug?!") 4.Lc4 Sf6 5.Sf3 Sc6 Schwarz will es wissen 6.d4 Lg4 7.d5 Se5?? ein unglaublicher Patzer 8.Sxe5


 Lxd1 9.Lb5+ c6 10.dxc6 Lg4 11.Sxg4! am kaltblütigsten bxc6 12.Lxc6+ Sd7 13.Se5 Dc7 14.Lxd7+ Kd8 15.Lf4 Db7 16.0–0–0 Kc7 17.Sb5+ Kb6 18.Sc4+ Kc5 die abschließende Hatz verdient ein weiteres Diagramm


19.Le3+ Kxc4 20.Td4+ Kc5 21.b4+ Kb6 22.Td6# 1–0
FM Rudolf Meessen erwischte ein schreckliches Turnier und musste sich bei einer Bilanz von (+1/=0/-8) mit dem letzten Tabellenplatz begnügen.


Nach diesem Geschenk kam wieder ein dicker Brocken: FM Pieter Hopman, der laut eigener Aussage inoffiziell bereits ein Rating von ca. 2422 hat. Ich war wie in diesem Turnier üblich auf die falsche Variante vorbereitet und musste mit eigenem Kopf denken. Da ich 4/4 brauchte, um eine Norm zu schaffen, war Remis keine Option, weshalb ich lasche, remisträchtige Varianten, die sich in der Eröffunung ergaben, ausschlug, und versuchte in einem komplizierten, zweischneidigen Mittelspiel, als Sieger vom Feld zu gehen. Leider ging der Schuss nach hinten los und nach einem langen, zähen Kampf blieb mir nichts weiter übrig, als die Hand zu reichen.

                                          FM Hopman (2387) - Winterberg
 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.g3 Lb4+ 4.Ld2 Le7 verglichen mit der Partie gegen Vandevoort stellt diese Zugfolge eine kleine Feinheit dar, da der weiße Läufer auf d2 schlecht steht...5.Lg2 d5 6.Sf3 b6 7.Sc3 c6 8.Lg5...was Weiß in der Regel durch Lf4 Sh5 Lc1 korrigiert. Anschließend wird der Läufer dann mittels b3 und Lb2 fianchettiert. 8.Lg5 trägt eigenen Charakter, stellt Schwarz aber vor keinerlei Probleme. 0–0 9.0–0 Lb7 10.Se5 Sbd7 11.cxd5 cxd5 12.Sd3 Tc8 13.f3 b5 Schwarz hat gutes Spiel und träumt von einer Initiative am Damenflügel 14.Le3 b4 15.Sa4 Da5?! eine schlechte Wahl. Ich war mir nicht sicher, ob Lc6 oder der Partiezug vorzuziehen war. Die Engine lässt da keine Fragen offen. Besser war 15...Lc6! wonach Schwarz gut steht. Man sehe z.B. 16.Sac5 Lb5 17.Tc1 Sxc5 18.Sxc5 Sd7 von weißer Initiative ist weit und breit nichts zu sehen. 16.b3 Lc6 17.Sab2 Se8!? beseelt von der Idee mittels Sc7-b5 einen Springer auf c3 zu installieren. 18.Dd2 Db6 19.Lf2 a5 20.e4 Sc7 21.e5 Lb5 22.h4 f5?! besser war es vermutlich sofort auf d3 zu schlagen. Nach 22...Lxd3 23.Dxd3 Sb5 24.Sa4 Dc6 mit der Idee Sb6 gelingt die schwarze Infiltration. 23.Tfc1 Lxd3 24.Dxd3! das hatte ich unterschätzt.Weiß droht mit Lf1, was die Bankrotterklärung meines Planes bedeuten würde. Schwarz muss nun nolens volens Sb5 ziehen, was zu einer sehr unerfreulichen Stellung führt. 24...Sb5 25.Sa4 Db7 26.Lf1 Sa3 27.Da6 Dxa6 28.Lxa6 Ta8 29.Tc6? auch Weiß strauchelt. Zu spät sah ich Tc7, wonach Schwarz auf Verlust steht, er kann sich nicht bewegen, während die weißen Türme wie Orkane im schwarzen Hinterland wüten. Tc6 basiert auf einem taktischen Schwindel, erlaubt Schwarz aber Erleichterung. 29...Kf7 Es galt zu erkennen, dass 29...Sb8 nicht etwa eine Figur gewinnt, sondern einem taktischen Trick zum Opfer fällt, der die Partie zu weißen Gunsten entscheidet. 30.Txe6 Kf7 31.Lb7 nebst 32.Lxd5 und Weiß hat sich 2 Bauern eingeheimst. 30.Ld3 Tfc8 31.Tac1 Txc6 32.Txc6 Ld8 33.Le3 Ta7 der einzige vernünftige Plan. Was sonst? 34.Tc8 Lc7 35.Kf2 Sb6 von diesem Zug und der damit verbundenen Bewertung des nachfolgenden Endspiels hängt die Stellungsbewertung ab. Es gab keine Alternativen, Schwarz muss im Endspiel S+L gegen Turm nach Rettung suchen. 36.Txc7+ Txc7 37.Sxb6 Sc2 38.Sa4 Sxe3 39.Kxe3 Tc1 40.Sc5 Ke7 41.La6 Te1+ 42.Kf4 Td1!


schlau gespielt, wenn Weiß auf Gewinn spielen will, muss er ein Risiko eingehen, nämlich den Bauern a2 mit Schach abtreten. Ängstliche Spieler müssen sich mit Remis nach Te1-d1-e1-d1 begnügen.  43.Ke3 Te1+ 44.Kd3 Tf1 45.Ke2 Ta1 46.Lc8 Txa2+ 47.Kd3 Tf2 48.Lxe6 Txf3+ 49.Ke2 Txg3 50.Lxf5? unverständlich. Nicht nur die Ästhetik, sondern auch der gesunde Menschenverstand sprach für Lxd5, wenn Weiß sich durchsetzen sollte.  Tg2+ 51.Ke3 Th2 Schwarz wehrt sich nach Leibeskräften, der Turm entfaltet eine enorme Aktivität, Weiß muss auf der Hut sein 52.Le6 Weiß ist auf der Höhe. Nach 52.Lxh7?! Th3+! ein wichtiges Zwischenschach 53.Ke3 Txh4 54.Lg8 Txd4 55.Kd3 Td1 wäre das Remis unausweichlich 52...a4! genau so. Schwarz nutzt die schlechte Koordination des Anziehenden aus. Man beachte wie Schwarz sich durch aktives Spiel am Leben hält. Der Turm bereitet dem Weißen große praktische Probleme.


 53.bxa4 b3 54.Lxd5 b2 55.La2 Th3+?? ein totaler Blackout, der Schwarz um die Früchte seiner Verteidigungsarbeit bringt. Ursprünglich war natürlich 55...Th1 56.d5 Ta1 der Plan, bis ich plötzlich die fixe Idee hatte, den d4-Bauern zu gewinnen, was natürlich hinten und vorne nicht klappt. Interessant ist das Endspiel, das nach 55...Th1 56.d5 Ta1 57.d6+ Ke8 58.Kd3 Txa2 59.Kc2 b1=D 60.Kxb1 Td2 hätte entstehen können.


Es steht Spitz auf Knopf, doch wenn man der Engine Glauben schenken kann, ist diese Stellung für Weiß nicht zu gewinnen.
56.Kd2 Txh4 57.Kc3 den hatte ich verpasst...so einfach kann Schach sein. g5 58.a5 g4 59.a6 Th1 60.a7 1–0
Ein sehr ärgerlicher Verlust nach zäher Gegenwehr, doch es sollte nicht der letzte gewesen sein...


Dennoch startete ich optimistisch in den nächsten Tag, an dem es gegen meinen Wirtzfelder Clubkameraden IM Stephane Hautot in die Schlacht ging. Ich war sehr gut vorbereitet, und da Stephane immer dieselbe Eröffnung spielt, plante ich einen vollen Punkt ein. Völlig falsch lag ich zwar nicht, doch überraschte er mich mit einer in meinen Augen dubiosen Nebenvariante. Was dann geschah, seht selbst:
       
                                   Winterberg - IM Hautot (2374)
 1.d4 d5 2.Sf3 Sf6 3.c4 c6 4.Sc3 dxc4 5.a4 Lf5 6.Se5 Sbd7 7.Sxc4 Sb6 8.Se5 a5 Dies ist die solide Lieblingsvariante der Chinesen, die viele chinesische Super-GMs in ihrem Repertoire haben. Da man sich am schwarzen Aufbau durchaus die Zähne ausbeißen kann, möchte ich das System hiermit "Chinesische Mauer" taufen. 9.f3 in meinen Augen der ambitionierteste Zug. Solidere Spieler wie Kramnik haben in der Praxis auch häufig 9.g3 und das moderne 9.e3 versucht. Wer es geradliniger mag, kann Gelfands 9.Lg5 folgen oder sich für Mamedyarovs giftiges 9.Tg1!? entscheiden.
9...h6 und da ist schon die Überraschung. Meine gesamten Analysen fingen mit dem Hauptzug 9...Sfd7 an, den die Theorie auch mit Abstand am höchsten einstuft. Der Partiezug hat halt das Problem, dass der Läufer auf h7 kümmerlich stehen wird, und selbst wenn Schwarz es schaffen sollte c5 oder e5 zu realisieren, es viele Tempi benötigen wird, diesen Läufer wieder zurück ins Spiel zu beordern. Meiner Ansicht nach ist 9...h6?! daher eine schlechte Idee. 10.e4 Lh7 11.Le3 Sfd7? Es ist erstaunlich, dass mein Gegner, der immer dieses System mit Schwarz spielt, auf solche Ideen kommt. 11...e6 war ein Muss. 12.Sxd7 Sxd7 13.d5! und plötzlich hat Schwarz große Entwicklungsprobleme. 13...cxd5?? Das überspannt den Bogen aber endgültig. Notwendig war 13...e6 14.dxe6 fxe6 15.Db3 wonach Schwarz zwar deutlich schlechter steht, aber immerhin noch am Leben ist.  14.Lb5 e6 15.exd5 Lb4 16.dxe6 fxe6 17.00 De7 was sonst? 18.Lb6!


Die schwarze Stellung wird zunehmends schlechter. Er kann nach wie vor nicht rochieren und ist ziemlich paralysiert. Der nächste Zug ist forciert. 18...Lc5+ 19.Lxc5 Dxc5+ 20.Tf2? das erste Mal, dass ich den Gewinn verpasse. Ursprünglich geplant war 20.Kh1, wonach Schwarz sofort verloren ist. So würde 20...000 an 21.Se4 Lxe4 (21...De7 22.Dd6+-/ 21...Db6 22.Sd6+ Kb8 23.Sf7+-) 22.Tc1+- scheitern und nach 20...Td8 gäbe es 21.Se4! Lxe4 22.fxe4 nebst Dg4 und Gewinn. Mit Tf2 wollte ich es übergenau spielen und gegebenenfalls den Turm nach d2 überführen, doch das hat den Nachteil, dass die Türme nicht verbunden sind. 20...Td8 erzwungen. 20...000 verliert analog zum Kh1-Abspiel nach 21.Se4+-  21.Tc1 De3 ich erwartete 21...Db6, wenn 22.Sd5! einen starken Eindruck hinterlässt. Nach dem Partiezug wurde ich nervös. Wie soll ich jetzt gewinnen? Problematisch ist, dass Schwarz nun 0-0 droht, um Lxd7 mit Txd7 zu beantworten, da der Tc1 hängt. Hier wird der Nachteil von 20.Tf2? deutlich. 22.Kf1 0-0 23.Te2? übersieht den sofortigen Knockout. Nach 23.Td2! hätte Schwarz die Figur nicht retten können, wie Varianten wie 23...Tf7 24.Sa2! deckt c1 Le4 25.Tc3 nebst Txd7 +- oder 23...Lg6 24.Sa2! Tf7 25.Tc7 nebst Tcxd7 illustrieren. 23...Dg5 24.Lxd7 Txd7 25.Dxd7 Dxc1+ 26.Kf2 das ernüchternde Ergebnis einer einstmaligen Gewinnstellung. Es tut weh, wenn man sich vor Augen führt, was Weiß aus seinen Chancen gemacht hat. 26...Lf5 27.Dd4! stark gespielt, Weiß klopft  sich den Staub ab und fängt von vorne an mit seinen Gewinnbestrebungen. Die Dame steht sehr zentral und lässt Weiß auf ein kleines Plus hoffen. Schwächer hingegen ist 27.Dxb7 Ld3, wo Schwarz sich gut behauptet. 27...Kh7? ein ernster Fehler, der zu einem schlechten Endspiel führt, welches Schwarz kaum halten kann. Ich erwartete stattdessen 27...Dg5, wo es für Weiß sehr schwierig ist, auf Gewinn zu spielen. 28.Dd2! Dxd2 ist erzwungen, da 28...Dh1 29.Dd6 +- etwas peinlich wäre.  29.Txd2 Kg6 30.Td7 Tf7 31.Td6 Tc7 32.Tb6 Td7 33.Ke3 Kf6 34.Tb5 Ld3 35.Txa5 b6 36.Ta8 Lf1 37.g3? in Zeitnot versuchte ich einfache Züge zu machen, die nichts verderben. Nach 37.Tb8 hätte Schwarz getrost aufgeben können, da 37...Td6 an 38.Se4+ scheitert. 37...Lc4 38.Se4+ Ke7 39.h4 mit der Idee den König über f4 zu aktivieren. 39...e5 40.Tc8 Td3+ 41.Kf2 Ld5 und hier wurde mir gesamte Ausmaß meines Scheiterns bewusst. 42.Tc7+ Kf8 43.Tc8+ Ke7 44.Sc3!? ein letzter Gewinnversuch, der jedoch nicht ohne Risiken ist. Schwarz kriegt nun Gegenspiel und sollte nicht verlieren. Die Engine findet aber selbst hier noch eine erstaunlichen Weg um den Sieg zu kämpfen, der in 44.b4!! besteht. Natürlich sah ich diesen Zug, doch dachte ich Weiß würde einen Bauern einbüßen. Allerdings ist dies mitnichten so.



So scheitert beispielsweise 44...Tb3 an 45.Tc7+ Kd6 (45...Kf8 46.Sc3 +-) 46.Txg7 Txb4 47.Th7 +/- und 44...Lxe4 45.fxe4 Td4 46.Tc7+! Kf8 47.a5 bxa5 48.bxa5 Ta4 (48...Txe4? 49.a6 Ta4 50.a7 nebst Tc8+ und a8=D +-) 49.Tc5 führt zu einem für Weiß günstigen Endspiel, wo ich mir nicht sicher bin, ob Schwarz es halten kann. Der Partiezug 44.Sc3!? ist zwar interessant, reicht jedoch nicht aus, einen gewinnbringenden Vorteil zu erzielen. 44...Lxf3 45.Tb8 g5 46.hxg5 hxg5 47.Txb6 g4 48.Tb4 quasi ein Muss. Schwarz drohte mit e4, was unbedingt verhindert werden muss. 48...Kd6 49.a5 Kc5 50.Tb5+ Kd6 51.Tb4 Kc5 52.Tb5+ ½–½
Und schwups ist leichtfertig ein halber Punkt verschenkt. Ein Remis, das sich anfühlt wie ein Verlust. Ich zeigte mich resistent gegen jedwede verheißungsvolle Gewinnfortsetzung und verdiene unter dem Strich das Remis. Dummheit muss bestraft werden.


Runde 8 stand unter einem anderen Stern. Da ich bereits nach Runde 7 in meiner Unterkunft auscheckte, pendelte ich die letzten 2 Tage. Bei einer Fahrt von ca. 2h10min. ist das erträglich. So verließ ich um 11:45 das Haus, also 3h15min. vor Rundenbeginn...aber wie so oft in diesem Turnier ging alles schief. Auf der A3 gab es einen sehr sehr langen Stau nach einem Unfall. Eigentlich kein Problem, ich plane ja immer sehr großzügige Zeitpuffer ein, lieber zu früh als zu spät. Das Problem war, es ging überhaupt nicht weiter, keinen Meter, und das für über eine Stunde. So kontaktierte ich um kurz nach 1 die Turnierleitung und teilte ihr mit, dass ich es nicht pünktlich schaffen würde, vielleicht sogar erst um 4 Uhr eintreffen würde. Ich hoffte darauf, eine Regelung finden zu können, die vorsieht, dass mein Gegner auf mich wartet, so wie ich es am ersten Tag tat, als mein Gegner noch arbeiten musste und die Partie auf 6 Uhr verlegt wurde. Aber nein, um 15:28 erreichte ich "schon" den Turniersaal, meine Uhr lief bereits. Mit Schwarz gegen einen 2373er, mit 28 Minuten weniger auf der Uhr...eine ziemliche Hypothek. Zu meiner Freude kam das einzige Mal in diesem Turnier meine Vorbereitung aufs Brett. Eine Variante, die ich gut kenne, mein Gegner nicht. Ich blitzte, er grübelte und so war sein Zeitvorsprung bald aufgebraucht. Im Mittelspiel bin ich jedoch traditionell sehr lahm und so kam ich doch noch in Zeitnot und vermisste die 28min. Es kam wie es kommen musste...

                                 FM Kalka (2373) - Winterberg
1.c4 Sf6 2.Sf3 g6 3.Sc3 Lg7 4.e4 d6 5.d4 0-0 6.Le2 Sa6 7.0–0 e5 8.Te1 Lg4!? meine Lieblingsvariante 9.Le3 Lxf3 10.Lxf3 exd4 11.Lxd4 Sb4 das ist die Idee 12.Dd2 Sc6 13.Le3 Sd7 14.Le2 Sc5 15.f3 Se6 mein Gegner verriet mir nach der Partie, dass er diese Idee völlig übersehen hat, dabei ist doch gerade Se6 der Kern des schwarzen Planes. 16.Kh1 und der Zeitvorteil war weg. Meine häuslichen Analysen beschäftigen sich hauptsächlich mit 16.Td1, doch fürchtete mein Gegner 16...Ld4, ein Zug, den ich ob meines geschwächten Königs nie und nimmer gemacht hätte. Die weiße Initiative entwickelt sich nach f4-f5 sehr schnell und die Schwäche des Le2 ist lediglich eine ephemere Erscheinung. 16...Scd4


Nach 16...Ld4 wollte mein Gegner mittels Lh6-e3-h6 die Züge wiederholen. Er verstand nicht, der Schwächung meines Königs Bedeutung beizumessen.17.Sb5 will den lästigen Sd4 sofort befragen, Weiß mag etwas besser stehen, der Rappe, der wie ein Krake auf d4 sitzt, ist allerdings sehr lästig und bereitet dem Anziehenden Unwohlsein, da er "um ihn herum" spielen muss. c5 18.f4 Sxb5 19.cxb5 Sd4 20.Lc4 De7 21.Dd3 Tae8 22.Ld2 Kh8 23.Te3 Dd7 24.a4 f5 25.Tae1 Te7 26.Ld5 Tfe8 eine sehr interessante Stellung hat sich ergeben. Meiner Meinung nach mischt Schwarz kräftig mit und sollte nicht schlechter stehen. 27.Th3 Lf6? und die Zeitnot fordert ihren Tribut. Mit 28min. mehr auf der Uhr hätte ich definitiv 27...fxe4! 28.Txe4 Dg4! mit schwarzem Vorteil gefunden. 28.Dg3 fxe4? Leider zu spät und bereits der entscheidende Fehler. Es gab tatsächlich noch Rettung, welche mit 28...Tg7! verbunden war. Nach 29.e5 dxe5 30.fxe5 Lh4! den übersahen wir beide, steht das Spiel in etwa gleich. 29.Dxg6 Tf8 erst jetzt merkte ich, dass das geplante 29...Df5 an 30.Txh7 +- scheitert. 30.Dh6 Tg7 31.Lxe4 Df7 32.g4 d5 33.Lb1 c4 34.g5 Ld8 35.Lb4 Tfg8 36.Lc3 Lb6 37.Dxb6 habe ich natürlich gesehen, aber was sollte ich sonst spielen?


axb6 38.Lxd4 Te8 39.Txh7+ Kg8 40.Txg7+ Dxg7 41.Txe8+ 1–0
Und erneut ein unnötiger Verlust, manchmal ist es wirklich wie verhext. Der Freude meines Gegner tat das jedoch keinen Abbruch, es muss offenbar ein sehr befriedigendes Gefühl sein mit Weiß gegen einen 90 Punkte schwächeren Gegner bei 30 min. mehr auf der Uhr zu gewinnen...

Inzwischen hatte ich das Turnier bereits abgehakt, es sollte einfach nicht sein! In Runde 9 wurde dann ein Ragozin diskutiert, auf den ich natürlich nicht vorbereitet war. Durch den Sieg robbte (anders kann man es wirklich nicht nennen) ich mich noch an meinem Widerpart vorbei, der am Ende auf Platz 9 eintrudelte.


                                Winterberg - FM Kaufeld (2342)
1.Sf3 ich wollte eine schlaue Zugreihenfolge wählen, doch bereits sein 1.Zug ließ die Träume einer gelungenen Vorbereitung platzen. d5 2.d4 Sf6 3.c4 e6 4.Sc3 Lb4 Ragozin, ok. Wie ging das noch gleich? 5.Lg5 Sbd7 6.cxd5 exd5 7.e3 h6 8.Lh4 g5 In den Varianten mit frühem c5 kenne ich mich ja halbwegs aus, aber frühes h6-g5 hmmm. 9.Lg3 Se4 10.Sd2 Sxg3 11.hxg3 Sb6 12.Ld3 Le6 13.Db3 nachdem ich diesen Zug gespielt hatte, mochte ich ihn schon nicht mehr. Die Dame steht dort unglücklich, da sie einem eventuellen c5 ins Visier blickt. 13...De7 das hingegen empfand ich als sehr angenehm. Wieso nicht Ld6, was mich ernsthaft mit der Drohung c5 konfrontiert? 14.a3 Lxc3 15.Dxc3 c6 16.b4 a6 17.a4 Df6 18.Dc5 der konkrete Ansatz bestand in 18.b5, der auf mich einen gesunden Eindruck machte, aber ich wollte die Lage nicht forcieren. 18...Sd7 19.Dd6 De7 zu weißer Initiative führt auch der Versuch die Dame zu fangen. Nach 19...c5 20.bxc5 Tc8 21.c6 Txc6 22.Da3 bzw. 19...Tc8 20.Sb3 h5 (20...c5? 21.Sxc5+-) 21.Sa5 Tb8 22.f3 steht Weiß etwas besser. 20.Dxe7+ Kxe7 21.Sb3 h5 22.f3! ein starker Plan f5 23.Kf2


durch prophylaktisches Spiel hat Weiß verhindert, dass Schwarz am Königsflügel zu Gegenspiel kommt. Nun wird am Damenflügel gespielt, während Schwarz, des aktiven Spiels beraubt, nur abwarten kann. Außerdem neigen auch die Bauern h5 und f5 zur Schwäche. Kd6 24.Tab1 Sf6 25.Sc5 Lc8 26.Thc1 Tf8 27.Le2 Tf7 28.Tb2 Te7 29.Tbc2 Le6 30.Sd3 Weiß hat den Luxus lavieren zu dürfen. Mein Gegner war bereits in Zeitnot und da ist keine direkte Drohung oft die unangenehmste...man kann sich nicht gegen sie verteidigen. Außerdem schwebt der mögliche Hebel b5 schon länger wie ein Damoklesschwert über des Schwarzen Haupt, was ihn zwingt, sich Gedanken über seine Figurenstellung zu machen. 30...h4? Bricht zusammen. Schwarz musste die Füße still halten, auch wenn es schwer fällt. Richtig war 30...Se7, wenn Weiß sein Lavierspiel fortsetzt und irgendwann in einem günstigen Moment b5 realisiert. Die schwarze Stellung macht auf mich einen sehr gefährdeten Eindruck und ich weiß nicht, ob Schwarz sich halten kann. 31.gxh4 gxh4 32.Se5 droht dreist mit Matt. Tg7 33.b5 erstaunlich ist der Vorschlag der Engine, die 33.Sxc6 bxc6 34.Txc6+ Ke7 35.Txa6 propagiert. Für das menschliche Auge erscheint diese Brachiallösung aber unangemessen. axb5 34.axb5 Sd7 35.Sd3! richtig gespielt, da 35.bxc6 nicht forciert gewinnt, wird der Springer zu seinem Traumfeld f4 überführt.


 cxb5 36.Tb2 Sb6 37.Txb5 Sc4 38.Tcb1 Ta2 39.Sf4 Ein strategisches Bild des Horrors. Schwarz bleibt auf einer Ruine sitzen und die Drohungen Tb6+ und Txb7 lassen sich nicht parieren. b6 40.Txb6+ Sxb6 41.Txb6+ Kc7 42.Txe6 1–0


Fazit: Das Turnier war an sich sehr schön und eine tolle Erfahrung. Zwar lief es für mich nicht ideal, doch habe ich gemerkt, dass es nicht so schwer ist, eine IM-Norm zu schaffen. Die Durchführung von IA de Vet und anderen Helfern war sehr gelungen und verlief reibungslos.

Welches Turnier als nächstes ansteht, weiß ich noch nicht aber bald beginnt die neue Saison, in der wir hoffentlich ordentlich durchstarten werden :)