Liebe Schafreunde,
ein weiteres Jahr ist Geschichte und ich möchte die Gelegenheit nutzen, auf das Schachjahr 2015 zurückzublicken. Im Weltschach hat sich Einiges getan, so ist Carlsen bis auf 2834 runtergerasselt und FIDE-Präsident Kirsan "der Immergute" Ilyumzhinov wurde aufgrund politischen Drucks seitens der USA zum Rücktritt gezwungen. Ich gehe davon aus, dass alle Schachsportler, die schon länger in der Branche agieren, eine feste Meinung zu dem werten Herrn haben.
Gefühlte 24 Klassen tiefer dümpelte ich indes auf diversen Opens rum, wo ich alles daran tat, meine Gegnerschaft von meiner Unfähigkeit zu überzeugen. Es war ein recht durchschnittliches Jahr, ohne große Akzente, dennoch gab es ein paar Ausreißer nach oben bzw. unten. Gut begann das Jahr als ich beim Kaiser Open in Bad Ems 8/9 erzielte, dabei 2 IM-Skalps erbeutete, aber leider wie so oft buchholzmäßig glücklos blieb und am Ende nur den 2. Preis ergatterte. Farblos ging es dann beim Neckar Open weiter. In der ersten Turnierhälfte spielte ich noch gut, in der 2. Hälfte dann nur noch Remise und verteilte meine Ratingpunkte quer durch ganz Deutschland. Da dies ein wiederkehrendes Phänomen ist, habe ich konditionelle Defizite in Verdacht, vielleicht werde ich aber auch einfach nur zum Altruist, wer weiß? In Hassloch und beim St.Pauli Open sollte es ähnlichen verlaufen, in beiden Turnieren gingen Punkte flöten. Ein weiterer Misserfolg war die Koblenzer Stadtmeisterschaft, auf der ich abermals Punkte verlor und nicht die angestrebten 7/7 erreichte, wie bei meinen beiden letzten Teilnahmen. Das Jahr beendete ich in Böblingen, wo ich in bester Manier das Turnier mal wieder mit 4 Remisen ausklingen ließ, symptomatisch für das gesamte Schachjahr.
Auch wenn bei Opens der Erfolg ausblieb, punktete ich wenigstens für die Mannschaften. In Belgien stehen in der Saison 2015/16 aktuell 3,5/4 zu Buche (bei 2 IMs und einem FM) , während ich für meine Heimmannschaft bis dato 3/4 erspielte bei einem Gegnerschnitt von knapp über 2300. Diese erfreulichen Ergebnisse führten unter dem Strich zu einer fühlbaren Elosteigerung auf 2340. Bis zum IM ist es trotzdem noch ein weiter Weg. Im Folgenden möchte ich einige interessante Partien aus diesem Jahr präsentieren, sozusagen das Best-of 2015.
Winterberg - Nazarenus, M. (2214)
Beginnen möchte ich mit einer Partie, die beim Böblinger Open gespielt wurde. Mein Gegner, der auf einige Jahre Oberliga und 2.BL zurückblicken kann, ist sicher kein Anfänger, auch wenn er in dieser Partie nicht gut wegkommt.
1.d4 d5 2.Sf3 c6 3.c4 Sf6 4.Sc3 e6 5.e3 Sbd7 6.Dc2 Ld6 7.Ld3 dxc4 8.Lxc4 b5 9.Le2!? mein neuester Ansatz, der viel giftiger ist, als man vermuten möchte. Lb7 10. 0-0 0-0 11.e4 e5 12.dxe5 Sxe5 13.Sd4!? das ist die Pointe. Der Schimmel strebt gen f5, mit diesem Zug erklärt sich Weiß bereit dazu einen Bauern für positionelle Kompensation ins Geschäft zu stecken. In der Saison spielte ich bereits so gegen FM Pucher, der hier fast 45min. investierte. Das gesamte weiße Konzept scheint auf Clublevel sehr unbekannt zu sein, obzwar die Idee aus dem Jahr 2013 stammt. Aus unerklärlichen Gründen stieß auch ich erst Mitte 2015 auf diesen Spielansatz. 13...Seg4 14.g3 Selbstverständlich wäre der Rückzug 14.Sf3 lächerlich, während 14.h3 Lh2+ 15.Kh1 Sxf2+ 16.Txf2 Dxd4 dem Schwarzen gutes Spiel einräumt. 14...Lxg3? konsequent gespielt, doch in meinen Augen ein Fehler. 15.hxg3 Dxd4 16.Dd1!
das ist der Schlüsselzug, Schwarz wird der Damentausch aufgezwungen, wonach die positionellen Defizite langsam aber sicher ausgeweidet werden können. Auf den ersten Blick wirkt die schwarze Stellung solide, erweist sich
aber bei genauerer Betrachtung als Potemkinsches Dorf. Schwarz wird im
Folgenden die Schwächung der schwarzen Felder, die schlechte
Bauernstruktur am Damenflügel, den deplatzierten Lb7, sowie die wacklig
stehenden Rappen bereuen. Wie bisherige Partien zeigen, kämpft Schwarz
trotz Mehrbauer um Remis, ohne selbst über irgendwelche Gewinnchancen zu
verfügen. Das schlimmste, das dem Anziehenden passieren kann, wäre ein
Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern, in welchem ein Minusbauer nicht weiter tragisch wäre. 16...Dxd1 17.Tfxd1 Tfe8 FM Pucher setzte hier schwächer mit 17...Se5 fort, was nach 18.f4 zu konkreten Problemen hätte führen können. Stattdessen spielte ich schematisch 18.f3, überspielte ihn langsam, zeigte dann eine schockierend schlechte Technik, musste lange nachsitzen und gewann am Ende glücklich nach 98 Zügen. 18.f3 Se5 19.Le3 Sg6 20.Kf2! ein weiterer Schlüsselzug in diesem System. Schwarz drohte, sich mittels Sd5 zu entlasten. Daher deckt Weiß prophylaktisch den Le3 und unterbindet jedwede Tricks. 20...h5 Es fällt schwer, für Schwarz einen vernünftigen Plan zu finden, daher muss er sich mit zweitklassigen Zügen ohne tieferen Sinn begnügen. 21.a4! die weißen Figuren sind ideal platziert, es wird Zeit aktiv zu werden. 21...b4?! umsichtiger war wohl 21...a6, auch wenn es das Feld b6 abtritt. Schwarz behält eine halbwegs solide Stellung und kann sich zaghafte Hoffnungen auf einen erfolgreichen Widerstand machen. 22.Sb1! dies ist stärker als 22.Sa2, was 22...a5 23.Sc1 c5 mit der Drohung 24...Lxe4 erlauben würde. Die Opferidee auf e4 ist der einzige Trick, auf den der Schwarze bauen kann. 22...c5 23.Sd2 selbstverständlich nicht 23.Lxc5 Lxe4 und Schwarz mischt kräftig mit. 23...h4?! dies kommt Selbstmord gleich, allerdings fällt es bereits schwer, etwas Vernünftiges vorzuschlagen. Der c5 wird nach Tac1 fallen und um Schwarz ist es in jedem Fall schlecht bestellt. 24.gxh4 Der Rest ist Agonie. Tac8 25.Tac1 Te5 26.Sc4 Te6 27.Sd6 Tb8 28.Lxc5 Sh5 29.Lc4 Tf6 30.Sxf7 Sxh4? 31.Sg5+ Kh8 32. Th1 ein bezeichnendes Schlussbild, das alle oben beschriebenen Defizite der schwarzen Stellung in ihrer Gesamtheit erfasst und in gnadenloser, unverblümter Form widergibt.
Als zweites möchte ich eine Partie vom St.Pauli Open vorstellen, die ich gegen eine aufstrebende Spielerin gewann. Nützlich waren dabei die Erkenntnisse, die ich aus GM Gustafssons Videoserie über den Marshall-Angriff ziehen konnte.
WFM Sieber (2122) - Winterberg
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 0-0 8.c3 d5 9.exd5 Sxd5 10.Sxe5 Sxe5 11.Txe5 c6 12.d3 so spielte meine Gegnerin bereits zuvor, daher richtete ich bei der Vorbereitung mein Hauptaugenmerk auf dieses System, welches ambitionierter ist, als es anmuten mag. 12...Ld6 13.Te1 hier zeigt sich der Unterschied zwischen 12.d3 und 12.d4. Stünde der Bauer auf d4, könnte Schwarz nun gut mit 13...Dh4 14.g3 Dh3 15.Te4 g5! vorsetzen, da 16.Lxg5 an Df5 mit Doppelangriff auf Turm und Läufer scheitert. Mit dem Bauern auf d3 jedoch, wäre der Te4 am Ende gedeckt, Schwarz muss sich also etwas Anderes einfallen lassen. 13...Lf5 14.Df3 das ist der Grund, weshalb 12.d3 derzeit so beliebt ist. Häufig erhält Weiß einen mikroskopischen Vorteil im damenlosen Endspiel, in welchem er risikolos auf Gewinn spielen kann. Möglicherweise sind die schwarzen Probleme nicht allzu gravierend, doch haben selbst starke GMs wie Aronian, Caruana oder Adams besagtes Endspiel schon mit Schwarz verloren. Daher ist Vorsicht geboten. 14...Te8!? ein frischer Ansatz, den GM Gustafsson empfiehlt. Er führt zu anderen Stellungstypen und lässt sich offenbar nicht widerlegen. 15.Txe8+ Dxe8 16.Ld2?! dies ist bereits ungenau. Nach 16.Sd2 De1+ 17.Sf1 entstünden indes sehr komplizierte Abspiele, die beiden Seiten viel Präzision abverlangen.
16...De6 17.Sa3 Te8 18.Sc2 Lg4 19.De4 Dd7 20.Dd4 Te5!
Eine sehr starke Idee, für die ich fast 25min. investierte. 21.h3 scheitert nun an 21...Lxh3, 21.f4 Te2 ist sehr unangenehm für Weiß, während Weiß nach 21.Te1 c5 22.Dxe5 Lxe5 23.Txe5 nicht genügend Kompensation für die Dame erhielte. Was also soll Weiß überhaupt gegen die Drohung c5 unternehmen? Die Engine findet eine Rettung, es sollte die letzte Chance für Weiß in dieser Partie sein. Der Silikonkopf zieht unbeeindruckt 21.Se3! und nach 21...Sxe3 22.Lxe3 c5 23.Df4 Th5 schätzte ich die Stellung als klar besser für Schwarz ein, da ich den h2 gratis mitnehme. Die Engine rechnet allerdings weiter. 24.De4 Lxh2+ Kf1 und es zeigt sich, dass die Drohung Da8+ Weiß in der Partie hält. Schwarz hat hier diverse Ansätze, Vorteil sollte allerdings nicht zu holen sein. Am Brett ist diese rettende Idee natürlich nicht leicht mit Weiß zu finden. Meine Gegnerin zog stattdessen 21.f3? Lxf3 22.gxf3 Te2 23.Dg4 Dxg4+ 24.fxg4 Txd2
die Damen sind zwar vom Brett verschwunden, dafür wütet ein Turm auf der zweiten Reihe. 25.Te1 g6 der Bauer h2 ist belanglos, da Weiß ihn ohnehin nicht zu halten vermag. h3 würde in Sf4 laufen. 26.Se3 Sf4 27.Sf1 Sh3+ 28.Kh1 Txb2 29.Te8+ Kg7 30.Te8 Le7 31.Td7 Kf8 32.Ta7 Weiß verteidigt sich gegen die vernichtende Drohung a5-a4 doch es hilft nichts Sf2+ 33.Kg1 Sxd3 34.Txa6 Lc5+ 35.Kh1 Tb1 36.Kg2 Sf4+ 37.Kg3 Txf1 38.Txc6 Se2+ 39.Kg2 Tf2+ 40.Kh3 Le3 0-1 Die Engine hätte nur an 2 Stellen anders forgesetzt, was der Partie objektiv betrachtet einigen Wert verleiht.
Zu guter Letzt möchte ich eine Partie vorstellen, die ich verloren habe. Das Spiel meines Gegners verdient die Auszeichnung hier vorgestellt zu werden.
GM Stupak (2542) - Winterberg
1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.g3 c5 4.Sf3 cxd4 5.Sxd4 d5 6.Lg2 ich konnte mich zwar daran erinnern, dass Schwarz hier ganz gut prinzipiell spielen kann mit 6...e5 allerdings war mir das zu unsolide und allzu viel konnte ich auch nicht mehr rekonstruieren. Daher wählte ich einen sichereren Aufbau. 6...Le7 7.cxd5 cxd5 8.0-0 0-0 Ich muss gestehen, dass ich kein großer Fan von solchen Isolanistrukturen bin, meine Ergebnisse sind auch ziemlich schlecht. Objektiv sollte Weiß etwas Vorteil haben, da er Druck ausübt, während ich etwas passiv stehe. 9.Sc3 Sc6 10.Lf4 Le6 11.Tc1 Dd7 12.Sxe6 fxe6 13.Lh3 Sh5!?
Eine unerwartete Reaktion, davon beseelt den Läufer auf ein schlechteres Feld zu treiben. 14.e3! richtig gespielt, den Läufer kann Weiß entbehren, da er die halboffene e-Linie für seine Schwerfiguren erhielte. 14...Sxf4?! vernünftiger war wohl 14...g6, was die Spannung aufrecht erhält, auch wenn Weiß nach wie vor mehr vom Spiel behält. 15.exf4 Lf6 16.Te1 Tae8
Hier entkorkte mein Gegner ein taktisches Feuerwerk! Diejenigen, die selbst knobeln wollen, sollten hier innehalten und nicht weiterlesen.
17.Sxd5! Dxd5 18.Lxe6+ Dxe6 19.Txe6 20.Dd5 Sd4 21.f5 Td8 was nun? Hat sich Weiß verdribbelt? Ich war tatsächlich naiv genug das zu glauben, da 22.Dc4 nun in 22...b5 -/+ läuft. Allerdings währte meine Freude nicht lange, denn mein Gegner knallte augenblicklich 22.Tc8!! aufs Brett.
Zunächst verstand ich das Problem nicht und nahm optimistisch auf c8. 22...Txc8 23.fxe6 und hier dämmerte es mir langsam. Es droht 24.e7+ nebst Df7 und der weiße Bauer promoviert. 23...Td8 hilft nicht wegen 24.e7 Txd5 25.e8=D#, 23...Kf8 scheitert indes an 24.Dd7 mit der unabwendbaren Drohung Df7#, während 23...Kh8 wiederum an 24.Dd7 nebst e7 scheitert. Eine großartige Stellungsbewertung meines Gegners. Nicht nur, dass er 22.Tc8!! gefunden hat, er hat die Konsequenzen auch richtig eingeschätzt. Schwarz ist verloren. 23...Sc6 was sonst? 24.Dd7 Tb8 25.b4! a6 26.a4 h6 27.Dc7 Ld8 mir ist es nicht gelungen, den Bauern e6 dingfest zu machen, die weiße Dame dominiert und setzt nun zum finalen Schlag an. 28.Df7+ Kh7 29.b5 axb5 30.axb5 Se7 31.Df4! Tc8 32.De4+ 1-0
Eine starke Vorführung meines Gegners!
Abschließen möchte ich diesen Artikel mit der "Gurke des Jahres":
Winterberg - Vöge,T. (2171)
Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich schon grausig gespielt, mit De7+ wäre es nun an der Zeit gewesen das Remis zu forcieren. Stattdessen folgte 25.Dg6+?! Kf8 es bot sich die erneute Chance mit 26.Dd6+ die Friedensverhandlungen einzuleiten. Was ich stattdessen spielte bewog mich zu ausdauerndem Kopfschütteln. 26.Sxd4??? mit der Idee gespielt, nach Dh2+ Kf3 zu ziehen und sogar Vorteil zu behalten. Was mir entging war das simple 26...e4!, was die dämliche Stellung der Dg6 unterstreicht. Ich verfüge nicht über ein einziges Schachgebot. Es folgte noch 27.Th1 Dxf2+ 28.Kh3 Se3+ 29.Se6+ Lxe6+ mit Matt.
Allen Lesern wünsche ich ein erfolgreiches Jahr 2016 auf und abseits des Schachbretts!