während zur Zeit die Ukrainerin Mariya Muzychuk und die Chinesin Yifan Hou in einem Match über 10 Partien um die WM-Krone kämpfen -zur Zeit steht es 3-2 für Hou- neigt sich im schönen Rheinland-Pfalz die Oberligasaison 2015/16 ihrem Ende entgegen. Eigentlich ist es für einen Rückblick noch etwas zu früh, da noch eine Runde zu spielen ist, allerdings ändert deren Ausgang nichts an der Gesamtsituation. Unsere Mannschaft hat sich sehr gut behauptet und findet sich derzeit auf dem 3. Tabellenplatz wieder. Selbst im Falle eines Verlustes in Runde 9 könnten wir einen soliden Mittelfeldplatz beanspruchen. Auch die individuellen Leistungen überzeugen. Zusammengerechnet haben unsere 8 Stammspieler ein Ratingplus von 93 DWZ-Punkten angehäuft.
Für mich ist es das erste Jahr am Spitzenbrett, eine ehrenwerte, fast schon einschüchternde Aufgabe. Vor der Saison, in die ich mit einer Elo von 2293 startete, setzte ich mir als Ziel, mindestens 50% der Punkte, sprich 4,5/9, zu holen. Für den Fall, dass es besonders gut läuft, träumte ich von 5/9. Eine Runde vor Schluss kann ich schon mal konstatieren, dass nichts mehr schiefgehen kann. Nach 8 Runden führe ich mit 5,5/8 die Konkurrenz am Spitzenbrett an und verbuche außerdem ein sattes Ratingplus von 45 DWZ- und 36 Elopunkten.
Kann ja mal passieren...Aber wie konnte es so weit kommen?
Ich startete in die Saison mit einem Schwarzremis gegen Frank Mayer (2319). Damit war ich sehr zufrieden, es war wichtig, nicht direkt das erste Spiel gleich zu vergeigen. Außerdem gab ich den Ton in der Partie an und es war mein Gegner, der die Friedensbemühungen anzetteln musste. In Runde 2 lief mein Gegner, FM S. Pucher (2326), in eine Variante, die ich einige Wochen zuvor in extenso analysiert hatte. Ich knetete ihn gut durch, übersah dann ein paar Gewinnwege und gewann am Ende glücklich mit T+L+K gegen T+K nach geschlagenen 98 Zügen und über 6 Stunden Spielzeit. In Runde 3 spielte ich gegen FM le Corre (2297) eine solide Partie mit Schwarz. Wiederum war ich derjenige, der auf Sieg spielte, jedoch leider eine aussichtsreiche Fortsetzung übersah und am Ende ins Remis einwilligen musste. Motiviert und erkältet ging es dann in Runde 4 nach Schwarzenbach, wo mich FM R. Müller (2301) erwartete. Mein Gegner, der bei der tags zuvor beendeten Dt. Meisterschaft sein persönliches Waterloo erlebte, und ich, der von einem Infekt geplagt und ohne Schlaf ans Brett ging, blickten einander scheu an, kämpften dann aber wie die Bergziegen. Am Ende brachte mein Angriff mir entscheidenden Materialvorteil ein, den ich dann auch mehr oder weniger souverän verwertete. In Runde 5 erwartete mich dann der renommierte Großmeister Sarunas Sulskis (2537). Gegen ihn zu punkten, und sei es nur ein Remis, hätte den Beweis erbracht, dass ich der Herkulesaufgabe, die mir meine Mannschaftskollegen anvertraut hatten, gerecht bin. Leider spielte der sympathische Litauer an diesem Tag bärenstark und fegte mich vom Brett. Zum Preis von 5 Ratingpunkten bekam ich an diesem Tag eine Lektion von einem namhaften GM erteilt und lernte viel dazu. Diese Niederlage kam genau zur richtigen Zeit. In Runde 6 bekam FM Lisanti (2228) als dritter FM meinen Weiß-Aufschlag zu spüren. Ich spiele konsequent auf Angriff und gewann trotz Zeitnot eine sehenswerte Partie. In Runde 7 wurde ich mit Schwarz erneut unter Druck gesetzt. Dennis Nasshan (2243) spielte kreativ und ich musste genau spielen, um ein Debakel zu verhindern. Dies gelang mir und die Balance wurde nie wirklich gestört. Kurz vor der Zeitkontrolle verpasste ich zwar einen Gewinn, verdient wäre dieser Sieg aber ohnehin nicht gewesen. Am Ende stand das Remis. In Runde 8 erwartete mich dann der stärkste Spieler der gesamten Liga: GM Ovsejevitsch (2588). Selbstverständlich wollte ich meine 100% Ausbeute mit Weiß beibehalten, realistische Hoffnungen solch ein Schwergewicht zu Fall zu bringen machte ich mir natürlich nicht.
Folgendes geschah...
Winterberg - GM Ovsejevitsch (2588)
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.Lxc6!? Diesen Zug habe ich noch nie zuvor gespielt. Zum einen wollte ich meinen Gegner damit überraschen, zum anderen führt diese kontroverse Variante häufig zu ruhigen Stellungen, in denen nur Weiß auf Gewinn spielen kann. Führende Großmeister vertreten unterschiedliche Ansichten über diese Variante. Manche vertreten die Vorzüge der weißen Spielweise und behaupten, die Aufgabe des Läuferpaars wäre aufgrund der Veschlechterung der schwarzen Bauernstruktur und daraus resultierendem Vorteil in den meisten Endspielen, vollends gerechtfertigt. Allerdings argumentieren auch zahlreiche GMs für die dunkle Seite der Macht. Sie behaupten, dass das Läuferpaar Schwarz leichten Ausgleich gewähren sollte und der konkrete Ansatz des Weißen etwas blutleer ist, verglichen mit den komplizierten, unklaren Hauptvarianten der Spanischen Partie.
Ich denke, die Wahrheit liegt wie so oft dazwischen. Die klassischen spanischen Hauptvarianten sind sicherlich ambitionierter, bergen allerdings auch mehr Gefahren. Der Tausch auf c6 ist sicher nicht zu widerlegen und sollte Schwarz auch vor das eine oder andere praktische Problem stellen. 4...dxc6 5.0-0 Df6 6.d4 exd4 7.Lg5 Dd6 8.Sxd4 Le7 9.Le3 Es mag attraktiv erscheinen, das schwarze Läuferpaar zu halbieren, doch habe ich den Eindruck, dass in diesem konkreten Fall zu viel Spannung aus der Partie genommen wird und Weiß kaum in der Lage sein dürfte einen Vorteil zu reklamieren. Weiß verfügt zur Zeit über Raumvorteil, daher macht es Sinn möglichst viele Steine auf dem Brett zu behalten. Die schwarzen Figuren werden es nicht leicht haben attraktive Felder zu besetzen. 9...Dg6 ab hier musste ich eigenständig denken. 10.Sc3 Sf6 11.f3 es fällt schwer, diesen Zug zu kritisieren, aber es ist gut möglich, dass Weiß mit dem konsequenten 11.f4! einen Vorteil hätte verbuchen können. Man sehe: 11...Sxe4 (11...Lg4 12.Dd3 c5 (12...0-0-0 läuft in 13.Sxc6! bxc6 14.Dxa6+ +- mit vernichtendem Angriff) 13.f5 Dh5 14.Sf3 Td8 15.De2 0-0 16.h3 Lxf3 17.Txf3 Te8 18.Lf4 Ld6 19.g4 Dh4 20.e5 mit weißem Vorteil) 12.f5 Sxc3 13.fxg6 Sxd1 14.gxf7+ Kf8 15.Taxd1 Lf6 bis hier hatte ich gerechnet und es als schlecht für Weiß abgetan.
Analysediagramm:
Der Silikonkopf rechnet allerdings weiter und entkorkt das phantastische 16.Sxc6!! bxc6 (16...Kxf7 17.Se5+ Ke8 18.Sd3 +/= ist aufgrund der unterentwickelten Figuren und der anfälligen Königsstellung sehr gefährlich für Schwarz) 17.Txf6! gxf6 18.Td8+ Kg7! 19.Txh8 Lb7 20.Te8 Kxf7 21.Te4 +/= Trotz der Präsenz der ungleichfarbigen Läufer sollte die Aktivität der weißen Figuren und die Anfälligkeit der schwarzen Bauern dem Anziehenden einen soliden Vorteil einräumen, den er risikolos auf Gewinn anlegen kann.
Stattdessen folgte 11.f3 0-0 12.De1 Beachtung verdiente das sofortige 12.Sce2 mit leichtem Vorteil für Weiß. 12...Se8 bereitet den Befreiungschlag f5 vor. Etwas genauer erscheint indes 12...Ld6 mit der Idee 13.Sce2 mit 13...Sh5!? zu beantworten. Allerdings behielte Weiß nach 13.Dh4 auch hier etwas mehr vom Spiel. 13.Sce2 f6 sichert der Dame das Rückzugsfeld f7. 14.Sf4 Df7 Hier investierte ich ca. 30min. um die Folgen des Partiezugs 15.Sf5 zu berechnen. 15...Ld6 nach diesem Zug, den mein Gegner ziemlich schnell spielte, ärgerte ich mich über mein Zeitmanagement. Der Grund für meine lange Denkpause lag in der Berechnung der Variante 15...Lxf5 16.exf5 Sd6 17.Se6 Tfc8 18.g4 g6 Es stellt sich heraus, dass sich der weiße Springer nach 19.Dg3! Kh8 20.Dh3 behaupten und der Punkt f5 verteidigt werden kann. Weiß behält klaren Vorteil. 16.Sxd6 cxd6?! Schwarz will seine Bauernstruktur in Ordnung bringen, doch führt das zu neuen Problemen. Es war wahrscheinlich besser, sich nach 16...Sxd6 mit einer schlechten, aber zumindest etwas aktiveren Stellung abzufinden. 17.Dc3 Le6 Auf 17...f5 hätte Weiß mehrere Möglichkeiten eine vorteilhafte Stellung zu behalten. Neben 18.e5 macht vor allem 18.Tae1!? einen sehr gesunden Eindruck, wenn sich zeigt, dass die weißen Figuren viel besser auf die Öffnung des Spiels vorbereitet sind. 18.Tad1 Td8 19.Lb6 Td7 20.Tfe1 prophylaktisch gegen f5 gerichtet. 20...g5 Es verbietet sich 20...f5 wegen 21.e5 mit gewinnbringendem Vorteil. 21.Sxe6 Dxe6 22.Lf2?! Es zeigt sich, dass die schwarze Stellung passiv, aber eben auch sehr solide ist. Möglicherweise sollte Weiß dem Ruf der Engine folgen und zunächst 23.b3 spielen. An der Stellungsbewertung ändert sich jedoch nichts. Weiß behält klaren Vorteil ohne das ersichtlich ist, wie er die schwarze Stellung knacken, bzw. den Bauern d6 erobern kann. 22...Sg7 23.Td3 h6 24.Db3 Dieser Zug ist schwer einzuschätzen. Eine interessante Idee, auf die ich aufmerksam gemacht wurde, besteht in 24.g4!? was den Befreiungsschlag f5 ein für alle Mal rigoros unterbindet. Nach 24...h5 25.h3 Kf7 26.Ted1 Th8 27.Kg2 könnte Weiß im Folgenden in aller Seelenruhe versuchen mit b3 nebst c4 den Bauern d6 zu fixieren und ihn dann mit aller Macht anzugreifen. Weiß behielte definitiv eine starke Initiative, weshalb 24.g4!? gegenüber der Partiefortsetzung 24.Db3 wahrscheinlich objektiv den Vorzug verdient. 24...Dxb3 25.axb3 Dies ist vielleicht sogar eine Verbesserung der Bauernstruktur, wenn man bedenkt, dass der Bauer auf b3 den Bauern c4 stützen wird und Weiß bequem mit dem Turm auf die a-Linie schwenken kann, sollte sich Schwarz zu b5 erdreisten. 25...Kf7 26.Ted1 Ke6 27.Lc5 Se8 28.g4 nun also doch 28...h5 29.gxh5 Th8 30.c4 Txh5 31.Lf2 Der Läufer wird auf g3 eine dominante Stellung einnehmen. Objektiv befindet sich das Spiel inzwischen im Gleichgewicht, aber Weiß kann nach wie vor nach Belieben "rühren", während Schwarz immer noch am Bauern d6 kleben muss. 31...f5 32.gxf5+ Kxf5 33.Lg3 Th6 34.Kf2 Te6 35.T1d2 Th7 36.Kg2 da Schwarz ohnehin kaum Fortschritte machen kann, lautete mein Credo die Lage vor der Zeitkontrolle nicht weiter zu forcieren und erst mal ein bisschen zu lavieren. 36...Thh6 37.Kf2 Thf6 38.Td4 Kg6 39.Tg4 nimmt eine neue Schwäche aufs Korn 39...Tf5 40.h4
Die schwarze Lage hat sich verschlechtert. Die Fesselung auf der g-Linie erweist sich als unangenehm, vom Druck gegen den Bauern d6 ganz zu schweigen. Der Springer darf nicht ziehen, während Kh6 und Kf6 an hxg5+ nebst Lf4 bzw. Lh4 scheitern. Am besten erscheint 40...Kh5 auch wenn Weiß nach 41.Tdd4! +/= gute praktische Chancen hat. Stattdessen folgte 40...b5?! 41.Td1! stark gespielt. Das sofortige 41.f4 verbietet sich in Anbetracht von 41...Sf6 42.Txg5+ Txg5 43.fxg5 Se4+ wenn Weiß seines Td2 verlustig geht. Ein netter Nebeneffekt von Td1 ist, dass der Turm bereit ist, auf die a-Linie zu schwenken um den Bauern a6 zu befragen, oder nach g1 bzw. h1 um gegen den schwarzen König vorzugehen. Auch f4 ist nun eine Drohung. Schwarz ist nicht zu beneiden.
41...bxc4 42.bxc4 Te7 43.Lxd6? Der kritische Moment in dieser Partie. Weiß hat eine breite Auswahl an vielversprechenden Zügen, der Partiezug sollte allerdings nur zum Remis führen. Auch 43.f4?! führt nach 43...Tb7 44.Txg5+ Txg5 45.fxg5 Txb2+ 46.Kf3 Tb4 nicht zum gewünschten Ergebnis, auch wenn Weiß etwas Vorteil behält. Interessant ist indes 43.Txg5+!? Txg5 44.hxg5 Tb7 45.Td2 Kxg5 46.Te2 Tb8 47. c5 Td8 48.Te4! droht Lh4 48...d5 (erzwungen, da 48...Kg6 an 49.Lh4 Tc8 50.Txe8! Txe8 51.cxd6 mit Umwandlung des Bauern scheitern würde.) 49.Te6 +/= und Weiß behält etwas Vorteil, während Schwarz für das Remis noch lange und hart kämpfen muss. Am stärksten erscheint allerdings der Vorschlag Houdinis, der für 43.b4! plädiert. In meinen Augen ist dieser Zug sehr unmenschlich und kaum am Brett zu finden. Die Idee besteht darin, den Status Quo aufrecht zu erhalten und zudem noch Ta1 zu drohen. Tb7 würde nun nach Te1 zu großen Problemen führen und auch andere Fortsetzungen sind sehr unattraktiv. Der Partiezug 43.Lxd6? wirft leider alles weg. 43...Td7 44.c5 Tb7 45.Txg5+ Auch 45.f4 Txb2+ 46.Kg1 Sf6 47.Txg5 Txg5 48.fxg5 Se4 würde zu nichts führen. 45...Txg5 46.hxg5 Txb2+ 47.Kg3 Kxg5 48.Le5
Darauf hatte ich mich verlassen, als ich 43.Lxd6 spielte. Ich unterlag dem Wahn, dass der Angriff auf den Tb2 in Kombination mit der Drohung Td8 den Sieg bringen sollte. Im Fall von 48...Te2 49.Td8 Txe5 hätte Weiß den Trick 50.f4+. Im Fall von Sf6 könnte ich den Bauern c6 gratis abräumen.
48...Tb3 Schwarz hätte es sich sogar erlauben können in die "Falle" zu tappen. Nach 48...Te2 49.Td8 Txe5 50.f4+ Kf5 51.fxe5 Sc7 52.Tc8 Se6 53.Txc6 Kxe5 kann Weiß seinen letzten verbliebenen Bauern nicht halten und muss das Remis im Endspiel T+K gegen S+K akzeptieren. 49.Td8 Sf6 50.Lxf6+ Kxf6 51.Td6+ Ke5 52.Txc6
Und hier geschah etwas Seltsames. Schwarz hätte sowohl mit 52...a5 als auch mit 52...Ta3 Remis halten können- das Endspiel ist sicherlich eine Analyse wert- stattdessen geschah aber 52...Tc3??. Nach 53.Txa6 Txc5 54.Kg4 stellt sich heraus, dass der schwarze König auf der 6. Reihe abgeschnitten ist und der weiße f-Bauer gemütlich zur Dame marschiert. 1-0
Dies war mein 4. Sieg in der 4. Weißpartie und mit 5,5/8 ist das Soll schon mehr als erfüllt. Im schlimmsten Fall bleibt es bei +2. Nichtsdestotrotz werde ich natürlich auch meine letzte Weißpartie auf Gewinn anlegen und schauen, was sich ergibt.
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